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Titel
Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Daniel, Ute
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S., 1 Abb.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Kohlrausch, Faculteit Letteren, Katholieke Universiteit Leuven

Die Mediengeschichte gehört seit vielen Jahren zu den dynamischsten Teilbereichen der Geschichtswissenschaft. Dass der Aufstieg der Massenmedien seit dem späten 19. Jahrhundert Politik grundlegend veränderte, ist breit akzeptiert und Kernannahme der erweiterten Politikgeschichte. Gleichwohl wird lange suchen müssen, wer für das 20. Jahrhundert eine umfassende Darstellung des Verhältnisses zwischen Politik und Medien finden möchte. Mit Ute Daniels Beziehungsgeschichten liegt eine solche nun vor, auch wenn die Autorin selbst bescheidenere Ansprüche formuliert. Dies ist nicht in erster Linie dem schieren Umfang der Thematik geschuldet, sondern vielmehr dessen Komplexität und den beiden „moving targets“ Politik und Medien, die sich als abgegrenzte Entitäten schwer fassen lassen. In überzeugender Weise macht Daniel aus der Not eine Tugend, indem sie konkrete Beziehungskonstellationen anhand von fünf Fallstudien untersucht und hieraus Schlüsse ableitet, anstatt mit vorgegebenen, umfassenden Konzepten die Relation von Politik und Medien auf einen Nenner zu bringen. Die in den Medienwissenschaften in den letzten Jahren dominierenden Begriffe „Medialisierung“, „Personalisierung“ oder „Celebritisierung“ wird man in Daniels Buch nicht oder kaum finden, nicht zuletzt weil die Autorin am Prozesshaften der von ihr untersuchten Wechselwirkungen zweifelt.

Die Periodisierung folgt weniger der Konvention „20. Jahrhundert“ als den Polen, die die Herausbildung des modernen Medienensembles um 1900 und das langsame Verschwinden der durch diese Medien mitgeschaffenen Massenpublika seit den 1980er-Jahren bilden. Geografisch fokussiert sich Daniel vergleichend auf Deutschland und Großbritannien. Konkret geht es um den Ersten Weltkrieg als Extremsituation für die im 19. Jahrhundert entstandene Massenpresse, um das Beispiel der Pressezaren Alfred Hugenberg und Lord Beaverbrook in der Zwischenkriegszeit, um die Wirkung der Sportpalastrede von Joseph Goebbels von 1943 – ohne englisches Pendant –, um einen Vergleich des Profumo-Skandals und der Spiegel-Affäre vom Beginn der 1960er-Jahre und schließlich in einer diachronen Analyse um die Dezentrierung des öffentlichen Rundfunks, das heißt um die Diskussion um Alternativen zur British Broadcasting Corporation (BBC) im Großbritannien der 1950er-Jahre und um christdemokratische Versuche in den 1980er-Jahren, die Stellung des Norddeutschen Rundfunks (NDR) zu beschneiden.

Die Fallstudie zum Ersten Weltkrieg verdeutlicht die Erkenntnismöglichkeiten von Daniels Ansatz und dient als Scharnier zwischen der Herausbildung der Massenpresse im 19. Jahrhundert und den verschiedenen politische Reaktionsmodi, die in dieser und den folgenden Fallstudien für das 20. Jahrhundert abgehandelt werden. Für Deutschland beschreibt Daniel eine frappierende Mischung aus Hyperkontrolle der Medien durch das Militär bei gleichzeitiger Regellosigkeit und teils chaotischer Organisation der Medienpolitik. Die überbordende Zensur – die „Brotkarte der öffentlichen Meinung“, wie es ein hoher Reichsbeamter formulierte – sagte weniger etwas über die Wirkung von Propaganda als über die vormoderne Ausgestaltung des Belagerungszustandes in Deutschland.

Für Großbritannien im Ersten Weltkrieg bestätigt Daniel die Annahme eines wirkungsvollen Einverständnisses der politischen und journalistischen Eliten über das, was der Berichterstattung entzogen sein sollte – und so eine formale Zensur viel weniger dringend machte. Gleichwohl war das Verhältnis von Presse und Politik nicht konfliktfrei. Mit Kriegsbeginn fiel das Parlament in London als Forum weitgehend aus und dieses Vakuum füllte teilweise die Presse – und hier insbesondere einer der neuen Pressebarone. Lord Northcliffe orchestrierte eine wirkungsvolle und teils regierungskritische Allianz von Öffentlichkeit und Militär, aber er tat dies innerhalb einer heterogenen Presselandschaft.

Daniel arbeitet für verschiedene Konstellationen das funktionale Element freier Medien heraus. Bis Anfang der 1920er-Jahre bildete die Presse das wichtigste Relais zwischen Regierung und Bevölkerung. Journalisten waren die wertvollsten Informanten über die Stimmung der Bevölkerung. Zensur schränkte diese Funktionen erheblich ein und entpuppte sich in Deutschland im Ersten Weltkrieg für die Zensierenden als zweischneidiges Schwert. Durch die erhebliche Einengung der öffentlichen Diskussion, von der vor allem neurechte Scharfmacher wie die „Torpedojournalisten“ und Hyperannexionisten profitierten, fiel die Presse als strukturelle Voraussetzung eines Konsenses, der einen Verständigungsfrieden möglich gemacht hätte, aus.

Der Negativbilanz politischer Pressesteuerung durch Zensur stehen Innovationen wie die Pressekonferenz entgegen, die an vertrauliche Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern des Kaiserreichs anschloss und potentiell eine effiziente Meinungssteuerung ermöglichte. Die im Krieg geschaffenen Strukturen, und das heißt vor allem die erheblich ausgeweitete Kontaktfläche von Medien und Politik, blieben in Großbritannien wie in Deutschland, das zeigt Daniel in ihren weiteren Fallstudien, bestehen.

Die Karriere des schillernden Begriffs „Propaganda“ während und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg sieht Daniel weniger als Evidenz dafür, dass Propaganda tatsächlich wirksam war, sondern als Ausweis eines nun als grundlegend – und dauerhaft – problematisch verstandenen Verhältnisses von Medien und Politik. Überhaupt wurde die – oft übertriebene – Annahme enormer Wirkmacht der Medien zum wichtigen politischen Faktor an sich. Auch auf dieser Grundlage konnten Hugenberg und Beaverbrook in der Zwischenkriegszeit zu Schlüsselfiguren in den konservativen Parteien ihrer Länder aufsteigen, scheiterten aber letztlich daran, dass sich Medienmacht nicht direkt in politische Durchschlagskraft übersetzen ließ.

In der luziden Fallstudie zur Sportpalastrede von Goebbels veranschaulicht Daniel, dass selbst die bis dahin extremste Form von Medienkontrolle keineswegs notwendig größere Spielräume für die Politik bedeutete. Hauptziel der Medienlenkung durch Goebbels war demnach, das Funktionieren des Führerprinzips zu beglaubigen. In dessen offenkundiger Krise nach Stalingrad hätte Goebbels‘ Versuch, die verschiedenen Gliederungen der Macht im nationalsozialistischen Deutschland auf den „totalen Krieg“ auszurichten, eine öffentliche Meinung nötig gehabt, die es nicht mehr gab. Die Inszenierung des „Medienereignisses“ Sportpalastrede folgte zwar dem Inszenierungsskript von Goebbels, die Wirkung der Rede entsprach aber kaum den Intentionen. Wie Daniel zeigt, trat der Propagandacharakter für ein Publikum, das gelernt hatte, Propaganda zu lesen, zu deutlich hervor. Der Mobilisierungsaufruf, insbesondere was den Arbeitseinsatz von Frauen betraf, führte zudem eher dazu, die Risse in der „Volksgemeinschaft“ zu betonen und zu befördern.

In ihrem Fazit stellt Daniel heraus, dass die von ihr beschriebene Beziehung nicht auf Gleichwertigkeit beruhte und die Politik grundsätzlich am längeren Hebel saß. Sie demonstriert dies insbesondere an den – rechtlichen – Handlungsoptionen, die die britische Regierung im Profumo-Skandal besaß und erfolgreich einsetzte. Die beiden Fallstudien für die Nachkriegszeit zeigen die Breite der Möglichkeiten, die sich auch in Demokratien der politischen Medienbeeinflussung boten. Dass hierbei der sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland öffentlich-rechtlich verfasste Rundfunk und hier vor allem das Fernsehen Anlass andauernder Konflikte um das Verhältnis von Politik und Medien bot, kann kaum verwundern und verweist auf die von Daniel kontinuierlich betonte Bedeutung der Strukturen. In der Fallstudie zur BBC und dem NDR gelingt Daniel der Blick in den Maschinenraum unzähliger Kommissionen, die mit politischen Mitteln politische Neutralität zu organisieren versuchten.

Abgewogen im Urteil, immer mit einem Auge für nicht intendierte Wirkungen – wie die Selbstschwächung diktatorischer Regime durch das Ausschalten der öffentlichen Meinung – und widersprüchliche Folgen politischer Steuerungsversuche der Medien bietet Daniels Studie reiches Anschauungsmaterial und viele kluge Einsichten. Das Konzept der dicht beschriebenen Fallstudien bedeutet aber auch, dass die Leser/innen sich auf deren historische Vielschichtigkeit einlassen müssen und eine sichere Vertrautheit mit der deutschen wie der britischen Geschichte des 20. Jahrhunderts hierbei sicherlich von Vorteil ist. Beziehungsgeschichten zeigt aber gerade hierdurch das Erkenntnispotential eines genuin historischen Ansatzes, der offen bleibt für Widersprüchlichkeiten, Abweichungen und Umkehrungen. Für das Verständnis des Verhältnisses von Politik und Medien im 20. Jahrhundert liegt mit Daniels Studie endlich ein umfassender, dabei aber niemals oberflächlicher oder vereinfachender Zugang vor.